Am 09.September 2017 fand unter relativ authentischen Bedingungen in Wacken und Umgebung die Rettungsübung ManV statt, in der ein katastrophales Wetterereignis als GröNo4-Auslöser simuliert wurde
Freundlicherweise hat mich die Kreisverwaltung Steinburg durch den Kreispräsidenten Peter Labendowicz eingeladen, die Flächenübung ManV (Massenanfall von Verletzten) als Beobachter zu begleiten. Die ausgesprochen gut organisierte Übungsbegleitung begann um 9 Uhr morgens im historischen Kreistagssaal im Kreishaus Itzehoe und endete am späten Nachmittag auf dem Flugplatz Hungiger Wolf, wo der Schlussappell stattfand.
1) Vorab: die Lage
Die Übung mit mehr als 1.500 Beteiligten drehte sich rund um das beliebte und gut besuchte Wacken Open Air Festival (-> hier ein Bericht dazu), das stets am ersten Augustwochenende stattfindet. Gut ein Jahr dauerten die organisatorischen Vorbereitungen für die größte Flächenübung, die von den koordinierten Katastrophenschutzkräften in Schleswig-Holstein bislang inszeniert wurde. Das angedachte Übungsszenario verlegt die Austragung der Veranstaltung auf das zweite Septemberwochenende. Ausgangssituation:
- Besucher: ca. 75.000 / Personen: ca. 100.000
- Fläche: 240ha / Camping: ca. 200ha
- 3 größere Bühnen, einige kleinere
- Sanitätsbereich des Veranstalters
- TEL Rettungsdienst in der ÖEL des Veranstalters
- 11 RTW / 3 NEF
- 2 zusätzliche Rettungwachen (Wacken/Holstenniendorf)
Der Ablauf der Katastrophe gestaltet sich wie folgt: Am Freitag, 08.09. hat der Deutsche Wetterdienst (-> DWD) nasskaltes, wechselhaftes Wetter angesagt. Für die Heavy Metal Fans beim W:O:A nichts Ungewöhnliches, das gehört in Wacken zum Setting. Gegen 21:15h gibt der DWD eine Wetterwarnung heraus, stürmisches Wetter zieht von der Küste her auf mit 9 Bft, in Böen 11 (Windgeschwindigkeiten bis 100 km/h, Tabelle siehe -> hier). Um 21:30h ziehen das Amt Schenefeld und der Veranstalter die Koordinierungsgruppe als örtliche Führungsebene zusammen. Der Abbruch des Feastivals steht im Raum, die Besucher werden vorgewarnt. Am 09.09. um 00:00h verschlechtert sich die Wetterlage rapide. Das Festival wird unterbrochen, die Besucher aufgefordert, sich auf den Campingflächen (Übersichtsbild -> hier) möglichst in Fahrzeugen aufzuhalten. Um 00:20h bildet sich im Gemeindegebiet Gribbohm/Wacken ein Tornado, der über das Festivalgelände zieht und für massive Zerstörung, Stromausfälle und viele Verletzte sorgt. Die Anzahl der gemeldeten Verletzten steigt schnell und überfordert die Mittel des regulären Rettungsdienstes vor Ort. Um 04:00h stellt die TEL (Technische Einsatzleitung, Liste von Abkürzungen -> hier) fest, dass die GröNo4 (Größere Notlage Klasse 4 / > 50 Verletzte) vorliegt und veranlasst gemäß Sonderkatastrophenschutzplan Großveranstaltung den Einsatz der Katastrophenschutzkräfte. Der Landrat stimmt der Hinzuziehung von Kräften aus den angrenzenden Bundesländern zu. Der LFüStabKatS ordnet die Bereitstellung der hauptamtlichen Rettungskräfte des RKiSH ( Rettungsdienst Kooperation in Schleswig-Holstein, -> hier) bis 11:00h an. Der Kreis Steinburg baut die erforderlichen Führungsstrukturen im Stab auf und setzt benötigte logistische Kapazitäten in Marsch. Hier zunächst einige Impressionen aus dem Lagezentrum im Kreishaus Itzehoe (bitte auf die Links klicken, um sie im neuen Fenster zu öffnen):
2) Die Beteiligten & Räume
Der FüStabKatS (Führungsstab des Katastrophenschutzes in Itzehoe) hatte im Vorfeld verschiedene Übungsareale und -einheiten geplant. Wesentlicher Bestandteil war der Ablauf GröNo4, der sich auf dem tatsächlichen Festgelände abspielte, und zwar unter relativ realitätsnahen Umständen, denn anhaltende und z.T. starke Regenfälle hatten das Gelände aufgeweicht. Das Kerngebiet der Übung erstreckte sich über 240 Hektar mit Ausläufern zu weiter entfernten Sammelpunkten. Im einzelnen fanden Übungen an folgenden Orten statt:
- A23 Rchtg. Süden Parkplatz NOK (Sammelpunkt)
- KatS-Zentrum Münsterdorf (Sammelpunkt)
- Schenefeld, Gewerbegebiet (Sammelpunkt)
- Warringholz, Parkplatz (Meldekopf)
- A23 Rchtg. Norden Parkplatz Forst Rantzau (Meldekopf)
- B431 Hohenwestedt, Parkplatz Meierei (Meldekopf)
- Horst, Parkplatz Elbmarschenhalle (Bereitstellungsraum)
- Hohenlockstedt, Hungriger Wolf (LogBasis)
- Itzehoe, Kreishaus (FüStabKatS, ÜRKAB)
- Vaale, FwGH (TEL IZ & Rettungsdienst)
- Itzehoe, Klinikum (Versorgung Verletzter)
- Gribbohm, FwGH (Stationierung SanEinheiten)
- Besdorf, FwGH (Stationierung SanEinheiten)
- Wacken, Turnhalle (Darstellerbetreuung, zentrale Patientenablage)
- Wacken, "Kuhle" (ÖEL & Stationierung SanEinheiten)
- Wacken, "Tredekoppel" (GröNo4)
An der Übung waren 278 Fahrzeuge beteiligt, davon allein 114 im Bereich GröNo4. Rund 1.500 Personen wirkten mit, darunter 125 Angehörige des THW und 432 Kräfte des RKiSH (mit Schnelleinsatzgruppen). Etwa 60 Personen waren im Führungs- und Lenkungsstab dabei, es gab circa 40 Beobachter aus Behörden und Medien. Geplant waren etwa 350 Verletztendarsteller, von denen 242 tatsächlich erschienen. Außerdem leisteten Einheiten der Bundeswehr Unterstützung im Bereich Wegeverfestigung. Die exakten Zahlen finden sich in den Abbildungen des ersten Blocks oben. Außerdem befand sich eine Ermittlungsgruppe der PD Itzehoe vor Ort, um Todesursachenfeststellung zu betreiben, ein Einsatz der Bundespolizei mit Helikopter und Wärmebildkamera zur Vermisstensuche erfolgte.
Die Bevölkerung im Übungsgebiet wurde durch geeignete Maßnahmen (KRLS WEST -> hier & App "NINA" -> hier) sowie durch Infoschreiben (Amtsverteiler) über den bevorstehenden Ablauf informiert. Die gesamte Übung wurde ausgiebig dokumentiert. Die Polizei hatte im Vorfeld Marschwege und Bereitstellungsräume zu sichern und für deren Räumung zu sorgen. Im Rahmen der Verkehrsleitung kam es zu Teilsperrungen.
3) Die Flächenübung
Nachdem die Behördenbeobachter und Medienvertreter gegen 09:00h im historischen Saal des Kreishauses vom Kreispräsidenten Peter Labendowicz empfangen worden waren und der Landrat Torsten Wendt einige erläuternde Worte zum Thema Katastrophenschutz gesprochen hatte, begaben wir, die Beobachter, uns in die kompetenten Hände der Organisationsleiterin des Betreuungsstabes, Frau Britta Glatki. Sie erläuterte uns den Ablauf der geplanten Tour, hatte für das leibliche Wohl der Teilnehmer gesorgt und führte uns zum Reisebus, der insgesamt vier Stationen der Übung anfahren sollte. Die Strecke, die zum Teil auf Wirtschaftswegen durch das Wackener Hinterland führte und stellenweise mit RTW förmlich gepflastert war, verlangte unserem Busfahrer einiges an Können ab.
3.1) GröNo4 auf der "Tredekoppel"
Unsere erste Station führte uns auf das Originalgelände des W:O:A, wo noch fünf Wochen vorher mehr als 75.000 Fans ihre Lieblingsbands gefeiert hatten. Hier wurde von den Darstellern der Massenanfall von Verletzten simuliert. Aus zwei Richtungen befuhren zahlreiche Einsatzfahrzeuge auf eigens von der Bundeswehr verlegten Faltstraßen den Ort des Geschehens und die Kräfte von RKiSH, DRK, THW und Feuerwehr rückten aus, um die weiträumig verstreuten Verletzten zu bergen und zu versorgen. Von überall her ertönten Hilferufe und Schmerzensschreie und mitunter schwerst Verletzte irrten ziellos umher, sie mussten bisweilen von den Rettungskräften eingefangen werden. Die Schminkgruppe hatte ganze Arbeit geleistet, denn die Verletzungen der Darsteller wirkten sehr realitätsnah, selbst abgetrennte Gliedmaßen hatte man im Repertoire. Dazu kam, dass es mäßig bis stark zu regnen begann, der Boden weichte auf, die Verletzten und auch die Rettungskräfte wurden pudelnass. Hierbei muss man den zahlreichen Laiendarstellern im Alter von 14 bis 81 Jahren ein großes Lob aussprechen, denn sie harrten, oft nur mit einfachen Regenschutzfolien des W:O:A-Veranstalters ausgerüstet, oft stundenlang in der Nässe aus.
Zu beobachten war, dass sämtliche Retter trotz der widrigen Wetterumstände hoch motiviert waren und untereinander gut kommunizierten. Natürlich kommt es bei einem Ereignis von solcher Tragweite auch zu Missverständnissen und Kommunikationsfehlern. Es war durchaus zu beobachten, dass einige der RKiSH-Kräfte ein wenig deplatziert wirkten, was vielleicht auch der verminderten Anzahl von Verletztendarstellern geschuldet werden muss. So blieb z.B. auch im Krankenhaus Itzehoe der erwartete Zustrom von Verletzten weitgehend aus. Am Ort des GröNo-Ereignisses waren augenscheinlich besonders Kräfte des DRK und THW stark vertreten. Hier einige bunte Impressionen von der Tredekoppel (bitte auf die Links klicken, um sie im neuen Fenster zu öffnen):
3.2) Sammelplatz Wacken
In der Nähe des Haupteingangs zum Festivalgelände befindet sich ein großzügig bemessener, gut befestigter Busparkplatz, der zur Stationierung von SanEinheiten im Bereich Verletztentransport genutzt wurde. Im echten Katastrophenfall ließe sich dieser Platz schnell räumen und auch bei schweren Wetterlagen gut nutzen. Viel zu sehen gab es hier nicht, daher nur wenige Impressionen:
3.3) Turnhalle Wacken
In der Turnhalle der Grundschule Wacken würde im Ernstfall die zentrale Patientenablage und ein funktionelles Behelfskrankenhaus untergebracht. Im Übungsszenario befand sich hier die Betreuungsstation für die zahlreichen Laiendarsteller mit Registratur, Schminkbereich, Aufenthaltsraum und Verpflegungsstelle (wo es einen ausgezeichneten Kaffee gab!). Hier einige kurze Einblicke:
3.4) BHP50 Wacken
Am Wackener Sportplatz hatte die Organisationsleitung einen sogenannten BHP50 eingerichtet, das Kürzel bedeutet, dass dort auf dem mit Zelten ausgestatteten Behandlungsplatz bis zu 50 Patienten pro Stunde behandelt werden können, es gab auch weitere Behandlungsplätze, allerdings mit halber Kapazität, also BHP25. Hier herrschte reger Betrieb, es hatten sich auch schwere Bergungseinheiten der Feuerwehr Lübeck eingerichtet. Als die RTW und KTW dann mit den Verletzten ankamen, wurde es spürbar eng in den Straßen von Wacken:
Gegen Mittag wurde die Besichtigungstour dann abgebrochen, offenbar waren nicht alle Beteiligten wetterfest. Den einen oder anderen in der Gruppe sah ich in Turnschuhen herumstapfen. In Wacken. Ein echter Brüller. Ich konnte die Pause nutzen, um eine erste Sichtung meiner Bilder vorzunehmen. Das Ergebnis ist in einigen Fällen mäßig, aber Dämmerlicht und zeitweise schwerer Regen machten es erforderlich, mit hoher ISO und langer Belichtung zu fotografieren, was hier und da zu Unschärfen und Farbrauschen führte. Gegen Nachmittag dann ging es zur letzten Station meiner Reise.
4) Hungrige Wölfe in Orange und Blau
Auf dem Flugplatz Hungriger Wolf (bis 2003 Standort des HflRgt6 -> Wikipedia) sollte gegen 17 Uhr der Schlussappell stattfinden, ab 15:30h wurde die Abendverpflegung angeboten. Die Hoheit über die Logistik-Basis oblag dem Technischen Hilfswerk (-> THW), das hier im ehemaligen Hangar eine gut durchorganisierte Sammelstelle mit Verpflegungsausgabe im großen Stil auf die Beine gestellt hatte.
4.1) Fahrzeuge am Hungrigen Wolf
Nicht alle Einheiten nahmen am Abschluss der Übung Teil, einige, die z.B. aus Stade kamen, rückten zeitig ab, um ihren Pflichten in den heimischen Rettungwachen nachkommen zu können, immerhin mussten die Einsatzfahrzeuge noch gereinigt und bestückt werden. Aber nicht wenige der verschiedenen Fahrzeuge konnte man hier noch einmal in Augenschein nehmen:
4.2) Fofftein! am Hungrigen Wolf
Nach getaner Arbeit trafen sich die Beteiligten dann im Hangar, um bei ausgezeichnetem Essen, heißem Kaffe und guten Gesprächen erste persönliche Auswertungen vorzunehmen. Es herrschte eine sehr gute, fröhliche Stimmung und trotz des schlechten Wetters schienen alle mit dem Ausgang der Übung zurieden zu sein. Man sah entspannte, gut gelaunte Gesichter:
5) Fazit
Die Organisation einer derart großflächigen und personalintensiven Übung erfordert Weitsicht, Planungskompetenz und Kooperationsbereitschaft. Diese Eigenschaften kann man den Verantwortlichen des Kreises Steinburg und sämtlichen nicht genannten Beteiligten in Orga-Teams und Einsatzleitungen durch die Bank weg attestieren. Auf der Kostenseite schlug die Veranstaltung mit circa 75.000 Euro zu Buche, wobei darin sicherlich nicht alle tatsächlichen Posten erfasst sind. Der Kreis Steinburg und die angegliederten Behörden haben uns, den Bürgern Schleswig-Holsteins, eindrucksvoll vor Augen geführt, dass der Katastrophenschutz im Lande durchweg gut aufgestellt ist. Kreis- und länderübergreifende Kooperation und Heranführung starker zusätzlicher Kräfte funktioniert planmäßig, zügig und effektiv. Das frei erfundene Szenario dieser Übung ließe sich auch auf andere Ursachen (z.B. Flugzeugunglück, terroristischer Anschlag usw.) anwenden, unsere Rettungskräfte sind bestens vorbereitet und koordiniert.
Natürlich handelte es sich um ein geplantes Manöver, also (trotz Schietwetter) um ein Best-Case-Szenario. Im Vorfeld wurden die Bürger informiert, das Gaffen untersagt, Straßen geräumt und gesperrt, Halteverbotsschilder in Wacken aufgestellt, die nutzbaren Räume waren leer und es befanden sich eben nicht 100.000 Personen im Übungsgebiet. Im konkreten Ernstfall würde das sicherlich etwas anders aussehen, als es hier demonstriert wurde. Aber schließlich war es auch für die Beteiligten das erste Mal und als (trotz Schietwetter) Trockenübung absolut geeignet. Da der Übungsschwerpunkt auf der Optimierung der Kommunikation und Kooperation der zum Teil sehr unterschiedlichen Einheiten lag (selbst die DLRG war anwesend), ist eine relativ reibungslose Übung eine gute Basis für anschließende Auswertung, Qualitätskontrolle und Verbesserung der Vorgehensweisen. Allein die Vernetzung der Funkfrequenzen und -geräte dürfte eine wahre Sisyphosarbeit gewesen sein.
Zu diesem Bericht wird es aller Wahrscheinlichkeit nach noch einen zweiten Artikel geben, denn ich beabsichtige, mit den Verantwortlich im Rahmen der Auswertung innerhalb der nächsten drei Wochen noch Interviews zu führen.
Ich persönlich kann aus dem, was ich selbst am 09. September in Augenschein nehmen konnte, den Schluss ableiten, dass diese Flächenübung erfolgreich absolviert wurde und ich als Bürger fühle mich in diesem starken Netzwerk der Rettungskräfte gut aufgehoben. Dafür spreche ich allen Beteiligten und allen Menschen, die in den Rettungsdiensten haupt- und ehrenamtlich ihren Dienst versehen, meinen Dank aus. Sie mögen es mir bitte nicht übel nehmen, wenn ich abschließend bemerke, dass ich mir nicht wünsche, sie in ihrer Dienstkleidung außerhalb von Übungen treffen zu müssen.
Clayton Husker
-www.clayton-husker.de-